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Das wahre Pfingsten– Streben nach Gerechtigkeit (Samuel Lee)


Aus dem Englischen übersetzt von Jelena Wenk

Auszug aus: "Das Evangelium den Armen" FThG-Band 19 - © 2013 Forum Theologie & Gemeinde

Der folgende Beitrag ist die Übersetzung eines Kapitels aus dem Buch: Samuel Lee, A new kind of Pentecostalism. Promoting dialogue for change. Amsterdam: 2011, 117-127. Aus dem Englischen übersetzt von Jelena Wenk.

Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Aufer- stehung Jesu, des Herrn, und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen. Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte. (Apg 4,32-35)2


Das Streben nach einer radikal zur Gerechtigkeit und Nächstenliebe veränderten Glaubensgemeinschaft, mit dem wir uns an dieser Stelle auseinandersetzen wollen, ist keineswegs neu! Wie wir in der Apos- telgeschichte lesen können, nahm es seinen Anfang am Pfingsttag: Die Pfingstbewegung wirkte schon immer am Rande des gesellschaftlichen Lebens. Daher muss sie wieder für Gerechtigkeit eintreten, wie in den Tagen der Apostel. Sofort nach der intensiven Pfingsterfahrung der Jünger, als diese vom Heiligen Geist erfüllt waren, erhob sich Petrus mutig und zitierte den Propheten Joel:


Da trat Petrus auf, zusammen mit den Elf; er erhob seine Stimme und begann zu reden: Ihr Juden und alle Bewohner von Jerusalem! Dies sollt ihr wissen, achtet auf meine Worte! Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist ja erst die dritte Stunde am Morgen; sondern jetzt geschieht, was durch den Propheten Joël gesagt worden ist: In den letzten Tagen wird es geschehen, so spricht Gott: Ich werde von meinem Geistausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden Pro- pheten sein, eure jungen Männer werden Visionen haben, und eure Alten werden Träume haben. Auch über meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geist ausgießen in jenen Tagen und sie werden Propheten sein. Ich werde Wunder erscheinen lassen droben am Himmel und Zeichen unten auf der Erde: Blut und Feuer und qualmenden Rauch. Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und herrliche Tag. Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet. Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat durch macht- volle Taten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst. (Apg 2,14-22)


Fast jede Aussage, die Petrus an dieser Stelle traf, wurde durch die Erfahrung von Pfingsten verwirklicht. Viele von uns betonen zu Recht die Ausgießung des Heiligen Geistes und die offizielle Geburt der Gemeinde Jesu Christi, die vor Jahren am ursprünglichen Pfingsttag stattgefunden haben. Jedoch glaube ich, dass es andere wichtige, wenn auch auf den ersten Blick weniger hervorstechende Antworten auf die Frage nach der Bedeutung von Pfingsten gibt.


1 Pfingsten, die Vielfalt der Völker und Kulturen


Ohne Zweifel trägt Pfingsten eine Botschaft zur Ehrung der Vielfalt der Völker und Kulturen. Es geht um die Menschen („,Am Ende der Zeit‘, so sagt Gott, ,werde ich meinen Geist über alle Menschen3 ausgießen‘.“ [Apg 2,17a; NGÜ]). Jesus Christus kam, um uns zurück zum Vater zu führen und der Heilige Geist kam, um uns Menschen wieder zueinander zu bringen. Das ist der Grund, wieso an Pfingsten Menschen verschie- dener Nationen die Jünger in Zungen beten hörten. In ihren Ohren klangen die Worte ihrer eigenen Sprache: bei den Arabern auf Arabisch, bei den Persern auf Farsi und genauso bei den Türken, den Chinesen, den Ägyptern usw. Und tatsächlich predigte Petrus an diesem Tag von der Ausgießung des Heiligen Geistes über die ganze Menschheit! An Pfingsten geht es um die ethnische Vielfalt! Denn mit Pfingsten wurden die Barrieren zwischen den verschiedenen Stämmen und Völkern überwunden, so dass heute das Evangelium nicht nur für Israel, sondern allen gilt. Es gibt heute viele versteckte Formen von Rassismus in der Kirche. Wir sprechen oft von der Liebe zu anderen Kulturen und Rassen, aber tief in unserem Herzen hegen wir Vorurteile und verschiedene Formen der Intoleranz: ,Ich liebe Schwarze, solange sie dort bleiben, wo sie hingehören.‘ oder ,Eigentlich mag ich Araber. Deswegen gehe ich auch zu ihnen. Durch Jesus werde ich sie schon auf die richtige Bahn bringen.‘ Diese Art der Sprache ist beladen mit ver- steckten Botschaften und Absichten. Ich möchte noch einmal betonen, dass es bei Pfingsten um die Einheit in der Vielfalt geht. Sind wir nicht alle Ausdruck des Farbenreichtums Gottes? Wir alle sind seine Kinder und müssen dafür sorgen, dass Menschen ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft Liebe und Respekt zuteilwird. Wenn sogar die Kirche den Fortbestand jener Vorurteile zulässt, was können wir dann von der Welt erwarten? Ich betrachte mich selbst als einen äußerst gesegneten Mann: Denn ursprünglich komme ich aus dem Nahen Osten, bin in Europa aufgewachsen, habe eine koreanische Frau geheiratet und So- ziologie mit dem Schwerpunkt japanische Kultur studiert. Nun stehe ich in einem Dienst für Filipinos, Nigerianer und Ghanäer. Das alles ist zutiefst bereichernd und inspirierend. Pfingsten in rechter Weise zu würdigen bedeutet daher auch, gegen alle Arten von Rassismus und Vorurteilen anzugehen. Denn das ist das geistliche Vermächtnis dieses wunderbaren Tages. Wie ich bereits erwähnt habe, kennzeichnen leider Vorurteile, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit unser religiöses Leben. Meistens, wenn wir über diese Themen sprechen, denken wir an die rassistische Einstellung der Weißen gegenüber Menschen anderer Abstammung. Nichtsdestotrotz sind der Rassismus und die Diskriminierung unter farbigen Christen ebenfalls sehr verbreitet. Letztlich brauchen wir alle Reinigung für unsere Herzen. Um solche Probleme zu beheben, ist eine umfassendere Veränderung notwendig, denn diese negativen Haltungen trennen uns vom Geist Gottes. Auch wenn sich die Kulturen der Welt voneinander unterscheiden, hat jede doch ihre guten wie auch ihre schlechten Seiten. Wir müssen bereit sein, die fruchtlosen und negativen Aspekte zu vermeiden, das anzunehmen, was segensreich ist und voneinander zu lernen. So können wir Schritt für Schritt eben diesen Lebensstil des Glaubens entwickeln, zu welchem Christus uns berufen hat: eine Kultur, in der die Menschen sanft, demütig, gütig und liebevoll sind. Das sind die Charaktereigenschaften eines Christen. Der Heilige Geist kann nicht in einem Herzen wohnen, das versteckte Vorurteile in sich trägt und sich eine rassistische Haltung gegenüber anderen erlaubt.


2 Pfingsten, Visionen und Träume


Als zweites geht es an Pfingsten um Hoffnung, Visionen und Träume. Denn genau das hat der Prophet Joel bezüglich dieses Tages vorherge- sagt. Der Heilige Geist kam, um uns mit Stärke und Kraft auszurüsten. Er tat dies, damit wir glauben und hoffen können und um uns einen Traum in unserem Herzen zu geben, der von Güte, Rechtschaffenheit, Würde, Anstand und bedingungsloser Liebe zu den Menschen und der ganzen Schöpfung zeugt. Pfingsten verspricht Hoffnung, wo keine ist, auch dann, wenn Krankheiten, Viren, Seuchen, Naturkatastrophen, Kriege und Verbrechen unsere Welt zerstören. Der Heilige Geist befä- higt uns zu einer Vision der Erneuerung, Wiederherstellung, Fürsorge und Liebe! Wie Bischof Tutu sagte: „Im Christentum geht es darum, Gott zu helfen, Seine Träume für die Menschheit und die Schöpfung zu verwirklichen.“ Das ist der Kerngedanke von Pfingsten! So sollte es zumindest verstanden werden!


3 Pfingsten und die Gleichberechtigung der Geschlechter


Ein dritter Gedanke, der sich mit Pfingsten verknüpft, ist die Ehrung der Frauen: unserer Mütter, Schwestern und Töchter! Es geht um die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesellschaft, in der Familie, am Arbeitsplatz und in der Kirche. In der Apostelgeschichte zitierte Petrus die Worte des Propheten Joel, der vorhersagte, dass in den letzten Tagen sowohl Männer und als auch Frauen prophezeien werden und beide gleichermaßen Gottes Diener sind (Apg 2,18). Seit Jahrhunderten wurden und werden Frauen bis heute an vielen Orten der Welt von Männern unterdrückt. Bedauerlicherweise haben Männer wie ich vergessen, woher sie kommen und dass sie der Spross der Frauen sind. Wir sprechen heute über die Rechte der Frauen in anderen Ländern, in der arabischen oder auch der islamischen Welt. Zu Recht kritisieren wir diese Nationen dafür, wie sie ihre Frauen behandeln. Doch, wie sieht es mit uns aus? Respektiert unsere westliche Gesell- schaft wahrhaftig die Freiheit der Frauen? Was haben unser Konsum-denken und die kapitalistische Gesellschaft aus ihnen gemacht, außer sie zu Lustobjekten zu degradieren? Ist das Freiheit? Wir verachten einige Religionen und Kulturen dafür, wie sie Frauen hinter ihren Schleiern gefangen halten, doch was ist mit all den Porno- und Sexmagazinen bzw. Webseiten im Westen? Viele der darin involvierten Frauen sind Opfer der Konsumgesellschaft, die sich nach Gier und undisziplinierter Lust richtet. Wir haben vergessen, dass diese Frauen auch Töchter, Schwestern und vielleicht auch Mütter von jemandem sind. So viele Frauen leiden massiv. Die Gemeinde Jesu sollte sie lieben, respektieren und ehren, doch stattdessen geschieht es oft gerade in dem vermeintlichen Geist von Pfingsten, dass Frauen Unrecht angetan wird. Wir als Pfingstgemeinden müssen unseren Schwestern helfen, unabhängig davon, wer sie sind und woher sie kommen. Ich möchte behaupten, dass die Pfingstbewegung bei der Verbesserung der Situation von Frauen in der Gesellschaft und der Kirche eine wichtige Rolle spielen kann. Im Laufe der ersten Jahre nach der Pfingsterweckung von 1906 war die Mehrzahl derer, die sich bekehrten, weiblich. Sie wirkten aktiv als Evangelistinnen, Predige- rinnen und Pastorinnen und unterrichteten sogar an Bibelschulen oder leiteten selbst eine Ausbildungsstätte. Bedauerlicherweise änderte sich das, als die Pfingstbewegung zu einer organisierten Religion wurde. Denominationen entwickelten sich und theologische Lehren wurden aufgestellt. Diese führten zu Unstimmigkeiten auf verschiedenen Ebenen. Eine davon war die Rolle der Frauen in der Kirche. Pfingstler, die von solchen konservativen Lehren beeinflusst sind, glauben, dass Frauen vom biblischen Standpunkt her in der Gemeinde weder lehren noch Autorität über Männer ausüben dürfen. Einge- schlossen sind dabei das Predigen von der Kanzel und auch adminis- trative Aufgaben. Um diesen Standpunkt zu untermauern, werden oft folgende Bibelstellen aus 1Tim 2,12 und 1Tim 3,1 zitiert:


Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht; sie soll sich still verhalten. Denn zuerst wurde Adam er-schaffen, danach Eva. Und nicht Adam wurde verführt, sondern die Frau ließ sich verführen und übertrat das Gebot. Sie wird aber dadurch gerettetwerden, dass sie Kinder zur Welt bringt, wenn sie in Glaube, Liebe und Heiligkeit ein besonnenes Leben führt. (1Tim 2,12-15)


Andererseits gab es innerhalb der Pfingstbewegung gerade in den letzten zwei Jahrzehnten etliche positive Veränderungen. Verglichen mit anderen evangelikalen Glaubensgemeinschaften und etablierten monotheistischen Religionen wird sichtbar, dass Frauen innerhalb der Pfingstbewegung zunehmend der Platz eingeräumt wird, der ihnen rechtmäßig zusteht. So werden auch weibliche Personen nun in den Dienst als Pastorinnen, Bischöfinnen, Prophetinnen und Apostelinnen eingesetzt. Eine Ordination, die in ein Bildungsprogramm eingebunden ist, kann für die Frauen außerhalb der Pfingstbewegung sehr befreiend und inspirierend sein. Im Nahen Osten und einigen asiatischen Län- dern findet man pfingstliche Leiterinnen, die ihre Gesellschaft zu beeinflussen vermögen, obwohl sie dort unterschiedliche Formen der Unterdrückung erleiden. Zu guter Letzt sei gesagt, dass ich bei wichtigen Angelegenheiten keineswegs mit jeder Pastorin automatisch einverstanden wäre, nur weil ich für die Gleichstellung von Männern und Frauen in Bezug auf gemeindliche Leitungsaufgaben plädiere. In der Pfingstbewegung gibt es genauso viele gesinnungslose Leiterinnen wie Leiter. Kor- rupte Machtausübung zieht sich durch beiderlei Geschlechter. Es gibt durchaus Pastorinnen, Leiterinnen und vor allem weibliche Apostel in unserer Szene heute, die keine angemessene Bildung erhalten haben, denen es an Charakterstärke und Integrität fehlt, und die versuchen, ihre männlichen Kollegen nachzuahmen.


4 Pfingsten und Evangelisation


Pfingsten ist ein Auftrag! Es bedeutet, die frohe Botschaft mit anderen Menschen um uns herum zu teilen. An Pfingsten verkündigte Petrus vor 3000 Zuhörern das Evangelium. Diese 3000 Christen kehrten in ihre Heimat zurück und predigten ihrerseits Scharen von Menschen die frohe Botschaft. Trotzdem denke ich manchmal, dass unsere Mis- sion und die Verbreitung des Evangeliums nicht so wirksam gewesen sind, wie sie hätten sein sollen. In letzter Zeit wurde mir nach und nach etwas deutlich, was in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnte: Solange wir Menschen, Nationen und Kulturen mit heim- lichen Motiven begegnen, kann unsere missionarische Arbeit nicht wirklich erfolgreich sein. Wir können das Evangelium nicht aufrichtig verkündigen. In der Vergangenheit wurde die Missionsarbeit oft durch politische Interessen und versteckte wirtschaftliche Ziele korrumpiert. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür ist der Kolonialismus und der mit ihm einhergehende Sklavenhandel in Afrika. Dieses Unrecht wurden von sogenannten Christen begangen, religiösen Gruppen aus dem Westen, welche versuchten, diesen Menschen das ,Evangelium‘ nahezubringen. Natürlich gab es auch etliche Europäer mit wohl- wollenden Absichten, doch alles in allem waren es viel mehr Leute, die andere Motive hatten, als die gute Nachricht zu verkünden. Es kann sein, dass wir auf der persönlichen Ebene genau das Gleiche tun, ohne es zu merken. Wir möchten bewusst jemanden als unseren Freund gewinnen, nur um diesen Menschen zu bekehren. Ganz gleich wie gut auch unsere Absichten sein mögen, wir zielen mit unserem Beziehungsangebot letztlich nur darauf ab, jemand anderen zu einem Christen zu machen! Wenn diese Person jedoch unseren Vorstellungen nicht entspricht oder das, was wir sagen, nicht annimmt, lassen wir sie fallen und wenden uns jemand anderem zu. Die Grundlage jeglicher Mission, die unser Reden und Handeln kennzeichnen sollte, ist jedoch wahrhafte und bedingungslose Liebe für den einzelnen Menschen, das Volk oder die Nation, der wir uns zuwenden. Nicht wir machen die Menschen zu Christen oder zu Nachfolgern Jesu, sondern der Heilige Geist, welcher in ihnen wirkt. Alles, was wir tun müssen, ist Christi bedingungslose Liebe zu teilen und diese der Menschheit zu offenbaren. Auch haben wir es dringend nötig, unseren Wortschatz zu über- denken. Worte wie ,Leute bekehren‘4 sind nicht mehr angebracht. Menschen sind keine ,Software‘ oder ,Dokumente‘, welche in ein anderes Format konvertiert werden können. Oft verwenden wir auch Ausdrücke wie: ,Ich habe ihm geholfen, zum Christentum zu kommen.‘ Ich bevorzuge jedoch eher das Wort ,Versöhnung‘: Wir haben uns mit Gott versöhnt, nicht zu einer Religion bekehrt! Manchmal sprechen wir davon, wie er oder sie Christus ,gefunden‘ hat! Doch nicht Christus war verloren! Wir sind diejenigen, die in die Irre gegangen sind! Die Menschheit an sich ist verloren! Unsere Aufgabe ist es nicht, die Person zu Jesus zu führen, sondern Jesus zu der Person. Christus kann nur zu jemand kommen, wenn wir willig sind, ebenfalls dort zu sein. Denke daran: Gottes Sohn kam in diese Welt, nicht wir zu Ihm. Pfingsten be- deutet, sich an die Orte zu begeben, wo auch Jesus sein würde. Das ist das Wesen unserer Mission.


5 Soziale Gerechtigkeit


Zu guter Letzt ist Pfingsten die Verpflichtung zum sozialen Han- deln! Ohne eine Sicht von sozialer Gerechtigkeit kann der Auftrag der Evangelisation und Mission nicht erfolgreich zum Ziel gebracht werden. In Apg 2 lesen wir, dass die Gläubigen sich der Gemeinschaft und dem Gebet widmeten und jene, die weltliche Güter besaßen, diese verkauften und sie an diejenigen gaben, die weniger hatten. Ihnen gehörte also alles gemeinsam. Nur der Heilige Geist kann uns helfen, auf diese Weise unser Leben zu teilen. Mir wurde klar, dass der Kommunismus diese Idee übernahm, seine geistigen Väter jedoch die Rolle des Glaubens aus ihrem Programm ausschlossen. Sie ignorierten die durch Christus bekundete Liebesbotschaft, wie auch die verwan- delnde Kraft des Heiligen Geistes. Der Prophet Amos gibt dies trefflich wieder, wenn er seinen israelitischen Zeitgenossen die Botschaft der Gerechtigkeit übermittelt:

Weh denen, die den Tag des Herrn herbeisehnen. Was nützt euch denn der Tag des Herrn? Finsternis ist er, nicht Licht. Es ist, wie wenn jemand einem Löwen entflieht und ihn dann ein Bär überfällt; kommt er nach Hause und stützt sich mit der Hand auf die Mauer, dann beißt ihn eine Schlange. Ja, Finsternis ist der Tag des Herrn, nicht Licht, ohne Helligkeit ist er und dunkel. Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versie- gender Bach. (Am 5,18-24)

Amos sprach zu Recht über all jene Gläubige, die sich nach den letzten Tagen sehnten – oder nach der ,Endzeit‘, wie man heute sagen würde. Sie waren so beschäftigt mit eschatologischen Lehren, Festen und religiösen Versammlungen, dass sie die Armen und die Leidenden vernachlässigten, vor allem die Waisen, Witwen und Migranten. Das erinnert mich an einige pfingstliche Kreise, wo der sozialen Gerechtig- keit und den Armen wenig Beachtung geschenkt wird: denn entweder man ist dort zu beschäftigt damit, das Ende der Welt zu verkünden und die Menschen zur Hölle zu verdammen, oder man hat die Gemeinde in ein Festival oder eine Show verwandelt. Sowohl die frühe pfingstliche Kirche wie auch die Erweckung in der Azusa Street förderten den Ein- satz für soziale Gerechtigkeit. Ich werde nie folgende Geschichte einer asiatischen Schwester vergessen: Die Frau war eine Migrantin, die als Haushaltsangestellte arbeitete und von ihrem Arbeitgeber, einem verheirateten Mann, geschwängert wurde. Als ihr Bauch zu wachsen anfing, warf er sie aus dem Haus. Es war Winter, um die Weihnachts- zeit herum. Sie hatte keinen Ort, wo sie hingehen konnte. Darum bat sie bei mehreren Pfingstgemeinden um Hilfe. Anstatt ihr beizustehen, fing eine Kirche an, ihr von Hölle und Ehebruch zu erzählen. Damit haben sie die Frau abgeschreckt. Eine andere Gemeinde sagte ihr, sie müsse befreit werden, denn sie sei von Dämonen besessen. Gott sei Dank rief sie meine Freunde an. Sie holten sie ab und halfen ihr bei der Geburt. Der Vater hat sich nie zu dem Kind bekannt. Aber die Frau kommt regelmäßig in die Versammlung und wird von der Gemeinde umsorgt. Wieso ist das Tor der Kirche für die verschlossen, die in Not sind? Warum stempeln wir sie gleich als Sünder ab? Wie können wir über Menschen urteilen, ohne überhaupt ihre Geschichte zu kennen? Es kann sein, dass diese Schwester sexuell belästigt oder sogar verge- waltigt wurde. Wir haben keine Ahnung, und doch tun wir so, als ob wir alles wüssten. Wer sind wir, dass wir uns erlauben, das Tor der Gerechtigkeit vor Menschen zu verschließen, welche wir als Sünder bezeichnen? Wir sollten uns nicht so viel um unsere wohlklingenden Lobpreislieder, Jugendcamps und Konferenzen im Hollywood-Stil kümmern, während wir zur selben Zeit die Armen und Unterdrückten vernachlässigen. Da ich unter besonders hilfsbedürftigen Migranten in Amsterdam diene, kann ich euch versichern, dass es auch heute noch – im Europa des einundzwanzigsten Jahrhunderts – Menschen gibt, die wie Anne Frank leben. In den Niederlanden begegne ich täglich vielen Asiaten und Afrika- nern, die ihre Heimat verlassen haben und bereits lange Zeit im Ausland leben, damit sie arbeiten und das Geld ihren Familien nach Hause senden können. Dafür gibt es diverse Beweggründe, wie z. B. die Bildung ihrer Kinder, die Sorge für ein Elternteil oder um die Krankenhausrechnung eines Familienmitglieds bezahlen zu können. Viele haben ihre Heimat verlassen, in der Hoffnung, ein oder zwei Jahre später zurückzukehren, doch aus einem oder zwei Jahren wurden zehn oder zwanzig. Sie haben hart dafür gekämpft, in ein europäisches Land einreisen zu können, um dann herauszufinden, dass sie die Voraussetzungen für eine Aufenthalts- genehmigung nicht erfüllten. Deshalb blieben sie dort als illegale Ein- wohner. Am Ende haben viele von ihnen Reinigungsarbeiten verrichtet oder für ganz gewöhnliche europäische Eltern Hausarbeit geleistet, die aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit für ihre Kinder vielfach keine Zeit haben. Wahrscheinlich ist ihnen ihre Arbeit wichtiger, oder der Luxus eines Doppelverdiener-Haushalts erlaubt es ihnen nicht, Qualitätszeit mit ihren Kindern zu verbringen. So brauchen sie Haushaltsangestellte, die sich um ihren Nachwuchs kümmern! Die Unterstützung durch illegale ausländische Arbeiter geschieht jedoch nicht nur im häuslichen Bereich, sondern in beinahe jedem Arbeitsgebiet des sogenannten ,Niedriglohnsektors‘. Diese Migranten sind in verschiedenen Berufsfeldern, wie der Landwirtschaft und dem Baugewerbe, aktiv. Diese ,nicht registrierten‘ Individuen erbringen eine enorme Leistung für die Gesellschaft und doch bleiben sie ,unsichtbar‘. Was würde geschehen, wenn sie auf einmal alle aufhören würden zu arbeiten? Die westliche Gesellschaft, vor allem Europa, wäre von ihrer Abwesenheit zweifellos betroffen. In Europa leiden so manche unserer Freunde aus Afrika, Asien, Südamerika oder auch aus anderen Ländern infolge von Gründen, die etliche von uns nicht geahnt hätten. Im letzten Jahr habe ich miterlebt, wie viele brutal festgenommen und in ihre Heimatländer deportiert wurden. Zu allem Übel wurden sie wie Kriminelle behandelt. Ich besuche regelmäßig einige ihrer Wohnstätten, und was ich sehe ist schrecklich: Mindestens sechs bis acht Menschen leben zusammen in einem Haus mit nur einem einzigen Zimmer. Überall auf dem Boden liegen Decken, Kissen verstreut und noch vieles mehr. Klingelt es einmal an der Tür, sind ihre Herzen plötzlich angsterfüllt, denn es könnte die Ausländerbehörde sein! Und wenn sie jemand ein wenig misstrauisch ansieht, fangen ihre Knie vor Angst an zu zittern. Als christlicher Leiter und sozialer Aktivist ist es meine Pflicht, den Notleidenden zu helfen: Menschen, die genau wie du und ich davon träumen, glücklich zu sein. Als Christen geben uns die verschiedenen Gemeinden und Dienste die Möglichkeit, diese Menschen zu erreichen und wo nötig Hilfe zu leisten. Der wahrhaftige Pfingstler kümmert sich um die Armen, Unterdrückten, Waisen, Witwen und Migranten. In der Welt gibt es durch Ungerechtigkeit und Fehlverteilung von Ver- mögen solch ein riesiges soziales und ökonomisches Ungleichgewicht. Teilst du deinen Besitz mit anderen, die nicht haben, was sie brauchen? Es ist die Aufgabe der Kirche, das menschliche Leid zu lindern, auf- zustehen und etwas zu unternehmen gegen Armut, Krankheit und Ungerechtigkeit. Wir müssen das, was wir haben, mit anderen teilen – vor allem angesichts der Tatsache, dass wir von einem gewaltigen Meer an Reichtum und Luxus überflutet sind. Wenn Pfingstler die Anforderungen des christlichen Lebens verstehen und ernst nehmen, kann die Pfingstbewegung tatsächlich zu einer treibenden Kraft für Gerechtigkeit werden.



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